• Angebot
  • Magazin
  • About
  • FAQs
  • Kontakt
Login
Fempreneur, Her-Cules, Mutmacherin

Machtgefälle und sexuelle Belästigung: Mein Weg durch ein toxisches Berufssystem

28. März 2025 Isabella Raunigk 2 comments

Eine persönliche Geschichte über Grenzverletzungen und den Weg zur Selbstbestimmung

“Er legte seine Hand auf meinen Oberschenkel und sagte: ‘Remote mag ich nicht so, ich find es besser wenn du direkt neben mir arbeitest…'”

Mein Körper versteifte sich. Der Schauer, der mir über den Rücken lief, mischte sich mit dem Gefühl aus Zorn, wieder in der Situation zu sein, wo ich weiß: Den Auftrag kann ich nicht annehmen, ohne mich sexueller Belästigung auszusetzen. Als Freelancerin mit 21 Jahren, am Anfang meiner Karriere, war ich finanziell auf jede Möglichkeit angewiesen, um Aufträge zu bekommen. Und leider war dies kein Einzelfall.

Der Beginn eines Musters

Wenn ich zurückblicke, hat alles schon in meiner Lehrzeit begonnen. Mit 15 Jahren, eine der Jüngsten in der Berufsschulklasse, war ich besonders verletzlich. Mediendesign war damals ein neuer Lehrberuf mit vielen Quereinsteiger, einige deutlich älter als ich.

Ein Kollege Anfang 30 sollte mir während eines Krankenstandes Unterlagen für eine Gruppenarbeit bringen. Als ich zum Haupteingang meines Wohnblocks kam, presste er mich gegen die Tür und sagte, er gebe mir die Unterlagen nur für einen Kuss. Diese frühe Grenzverletzung war nur der Auftakt zu einem Muster, das mich durch meine gesamte berufliche Laufbahn begleiten sollte.

Erpressung und Mobbing

In meinem ersten Lehrbetrieb wurde ich unbeabsichtigt Zeugin einer Affäre meines verheirateten Vorgesetzten mit einer Kollegin. Die Konsequenz? Ich wurde gemobbt, um mich aus meiner Lehrstelle zu ekeln – da eine direkte Kündigung eines Lehrlings rechtlich schwierig ist.

Warum ich nicht einfach ging? Mit 15 Jahren wohnte ich bereits seit einem Jahr nicht mehr zuhause. Die finanzielle Abhängigkeit war enorm, und genau in solchen Situationen sind besonders junge Frauen* oft gezwungen, Übergriffe zu ertragen, um ihre Existenz zu sichern.

Konsequenzen für die Opfer, nicht für die Täter

Als ich später neben meiner Ausbildung in einem Kino arbeitete, kam ein Filmvorführer, der immer wieder unangebrachte sexistische Kommentare machte, in den Technikraum zu mir. Er begrapschte mich und sagte: “Ich weiß doch, dass du das willst.” Ich löste mich aus seinem Griff und meldete den Vorfall nach Tagen voller Bauchschmerzen dem Theaterleiter.

Das Ergebnis? Er wurde verwarnt und sprach nicht mehr mit mir. Was aber ebenfalls geschah: Er erzählte anderen Kolleg eine andere Version der Geschichte. So wurde ich indirekt bestraft dafür, dass ich mich verteidigte. Eine bittere Lektion darüber, wie Machtstrukturen funktionieren und wie die Dynamik des Schweigens aufrechterhalten wird.

“Freiwillige” Angebote und versteckte Drohungen

In einer späteren Agentur flüsterte mir mein zukünftiger Vorgesetzter noch vor meinem offiziellen Arbeitsbeginn während einer Weihnachtsfeier ins Ohr: “Meine Frau weiß von meinen Affären, du kannst meine nächste sein, wenn du willst.”

Am liebsten hätte ich den Job sofort aufgegeben. Aber ich hatte es satt, mich von diesen Männern einschüchtern und belästigen zu lassen. Ich wollte mich nicht von meinem beruflichen Weg abbringen lassen. Also trat ich zwei Wochen später meine Stelle an und versuchte, ihm wo es ging aus dem Weg zu gehen.

Als ich für ein Wettbüro als Freelancerin Interface Design machte, musste ich mit einigen Technikern eng zusammenarbeiten. Einer davon erzählte mir, dass er Hobbyfotograf sei und “immer mal wieder Fotomodels sucht”. Als ich höflich ablehnte, blieb er hartnäckig. Auf meine Nachfrage, welche Art von Bildern er denn mache, antwortete er ungeniert: “Aktfotografie”. Er war sogar so dreist, mich mitten in der Teeküche zu fragen, ob ich für ihn nackt posieren würde. Darauf hin versuchte ich für diesen Kunden so viel wie möglich von zu Hause zu arbeiten.

Selbstständigkeit: Kein Schutz vor Übergriffen

Ich dachte, wenn ich nur noch selbstständig arbeite und im Homeoffice tätig bin, wäre ich vor solchen Erlebnissen gefeit. Doch das Gegenteil war der Fall: Die Situation als Freelancerin stellte sich als noch belastender heraus.

Als junge selbstständige Frau stand ich ständig Männern in Machtpositionen gegenüber – als potenzielle Auftraggeber, als Projektleiter, als Entscheider. Dieses Machtgefälle wurde immer wieder ausgenutzt. Jedes Meeting allein mit einem Mann wurde zu einer Situation, in der ich nur darauf wartete, dass irgendeine Grenze überschritten wird, und ich wieder abwägen musste: Ist es schon “schlimm genug”, um meine Existenz zu gefährden, indem ich den Auftrag riskiere?

Die ständige Abwägung: Existenz oder Würde?

In einer mehrjährigen Zusammenarbeit mit einem großen IT-Unternehmen wechselte ich häufig die Projekte und arbeitete als Expertin an verschiedenen Kundenprojekten. Ich lernte immer wieder neue Kollegen kennen, mit denen ich dann über Wochen oder Monate zusammenarbeitete.

Während vieler Dienstreisen war ich nicht nur damit beschäftigt, mich auf Workshops und Präsentationen vorzubereiten, sondern musste auch darauf achten, nicht allein mit einem Kollegen zum Abendessen zu gehen, bei dem mein Bauchgefühl mich warnte. Bei manchen Männern war es aufgrund unangebrachter Flirtversuche so bedrohlich, dass ich Ausreden erfand, um länger in der Lobby zu bleiben – nur um nicht allein mit ihnen im Fahrstuhl zu sein.

Bei einem Projekt sagte der Solution Architect zu mir: “Nächstes Mal, wenn du zu uns ins Büro kommst, kannst du gern danach bei mir übernachten…” Diese Menschen wissen nicht, was innerlich in einer Person zerbricht, wenn man weiß, man hat jetzt drei Monate enge Zusammenarbeit vor sich, die so startet. Ein Dominoeffekt unangenehmer Situationen und Stress werden so in Gang gesetzt.

Überlebensmechanismen und persönliches Wachstum

Was hat das mit mir gemacht? Ich wurde sehr feinfühlig und hellhörig, wenn es um Menschen, insbesondere Männer, geht – um schnellstmöglich herauszufinden, ob das Gegenüber eine Gefahr darstellt oder nicht. Diese hypervigilante Haltung ist erschöpfend und kostet enorm viel Energie, die eigentlich in die kreative und fachliche Arbeit fließen sollte.

All die Wut, den Zorn und die Enttäuschung habe ich in Energie umgewandelt, die mich die Flucht nach vorn antreten ließ. Über die Jahre wuchs mit meiner fachlichen Reputation auch mein Selbstbewusstsein. Meine Haltung und Ausstrahlung veränderten sich. Ich wurde automatisch “uninteressant” für diese Täter, die es auf unsichere, ruhige Frauen* in schwachen Positionen abgesehen haben.

Privileg der Selbstbestimmung

Irgendwann hatte ich es nicht mehr nötig, mir Übergriffe gefallen zu lassen, um (finanziell) zu überleben. Wenn ich heute merke, dass eine Situation unangemessen ist und mich jemand nicht mit Respekt und auf Augenhöhe behandelt, verlasse ich den Raum, das Gebäude, den Vertrag.

Das ist ein Privileg, das ich mir über Jahre erarbeiten musste – und viele Frauen* befinden sich noch genau dort, wo ich vor einigen Jahren war. Sie fühlen sich oft schambehaftet und allein mit diesen Erlebnissen. Als hätten sie selbst die Übergriffe verursacht und als wäre es peinlich, darüber zu sprechen – als wären sie mitbesudelt worden durch die Taten des Täters.

Der Weg nach vorne

Heute brenne ich dafür, andere Frauen* und Menschen aus marginalisierten Gruppen zu stärken. Ich möchte ihnen helfen, ihr Selbstbewusstsein und ihren Selbstwert aufzubauen, damit sie mit erhobenem Haupt ihren Karriereweg gehen können. Präventive Arbeit kann nur durch Stärkung der Betroffenen und Veränderung der Machtstrukturen gelingen.

Wir müssen das Schweigen brechen. Wir müssen über die systemischen Probleme sprechen, die solche Übergriffe ermöglichen und schützen. Wir müssen sicherstellen, dass die nächste Generation von Frauen* im Berufsleben nicht mehr zwischen ihrer Würde und ihrer wirtschaftlichen Existenz wählen muss.

Was können wir tun?

  1. Netzwerke bilden: Suche dir Mentor und Verbündete, die dich unterstützen und dir Rückhalt geben.
  2. Grenzen setzen: Lerne, “Nein” zu sagen und deine Grenzen klar zu kommunizieren.
  3. Dokumentieren: Halte Übergriffe schriftlich fest – mit Datum, Uhrzeit, Ort und beteiligten Personen.
  4. Verbündete suchen: Sprich mit vertrauenswürdigen Kolleg über deine Erfahrungen.
  5. Professionelle Hilfe in Anspruch nehmen: Beratungsstellen können dich rechtlich und psychologisch unterstützen.
  6. Wirtschaftliche Unabhängigkeit anstreben: Arbeite daran, finanziell unabhängig zu werden, um mehr Handlungsspielraum zu haben.

Jede von uns kann einen Beitrag leisten, um eine Arbeitskultur zu schaffen, in der Respekt und Professionalität selbstverständlich sind. Und jede von uns verdient es, ohne Angst vor Übergriffen arbeiten zu können.

Auf dem Foto bin ich 21 und habe gerade meinen Gewerbeschein gelöst. Eine Mentorin zu der Zeit wäre gut gewesen.



Möchtest du auf deiner Gründungsreise Unterstützung? 💪 Bei Mind Distillery begleite ich Frauen* auf ihrem Weg in die Selbstständigkeit – mit praktischem Know-how, psychologischer Expertise und einer Community von Gleichgesinnten. Trag dich jetzt in meine Warteliste ein und sei eine:r der Ersten, die von meinem FEMPRENEUR-Gründerinnenprogramm erfahren.

© Foto: Privat

  • Entrepreneurship
  • Erfolgsstrategie
  • Female Empowerment
  • Persönlichkeitsentwicklung
  • Sexuelle Belästigung
Isabella Raunigk

Isabella ist diplomierte psychologische Beraterin, Business Coach, Trainerin für Erwachsenenbildung und zertifiziert für systemische Aufstellungsarbeit. Mit 13+ Jahren Erfahrung als selbstständige Senior UX-Designerin und der Zusammenarbeit mit Kund:innen in ganz Europa bringt Isabella eine einzigartige, interdisziplinäre Perspektive in ihre Arbeit als Coach und Mentorin ein.

Beitrags-Navigation

Previous
Next

2 Comments

  1. Gaby

    28. März 2025 / 10:36 Reply

    Ich bewundere deine Offenheit, deine Arbeit und was du aus diesen Erfahrungen machst!

    • Isabella Raunigk

      28. März 2025 / 11:11 Reply

      Danke ❤

Schreibe einen Kommentar Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Search

Categories

  • Beziehungen & Netzwerk (2)
  • Fempreneur (4)
  • Her-Cules (3)
  • Life Balance (4)
  • Mutmacherin (4)
  • Praxis & Methoden (2)
  • Selbstentfaltung (3)

Neueste Beiträge

  • HER-CULES 002: Sabrina – 1000 kreative Leidenschaften zu einem Business transformieren
  • Fotos von einem Team im Büro und bei Teamevents
    “Das ist nicht mal legal”: Eine Geschichte über Potenzial, Vertrauen und die Macht der richtigen Arbeitskultur
  • Berufliche Sinnkrise mit 30: Wenn der Vorhang fällt – Ein Leitfaden zur beruflichen Neuorientierung
  • Was wäre, wenn dein persönliches Visionboard Teil deines Mitarbeitsgespräches wäre?
  • HER-CULES 001: Lisa-Maria – Zwischen Yoga-Matte & Marketing Job

Tags

Berufung Burnout-Prävention Business-Tipps Coaching Employee Experience Energiemanagement Entrepreneurship Erfolgsstrategie Female Empowerment Frauen Glück Gründung Her-Cules Interview Leadership Mental Load Mind-Distillery Mindset Mitarbeitende New-Work Notion Persönlichkeitsentwicklung Produktivität Projektmanagement Prokrastination Second Brain Selbstbestimmung Selbstorganisation Selbstsabotage Selbstständigkeit Selbstverantwortung Self-management Sexuelle Belästigung To-Do-Liste Transformation UX-Design Vergleichsfalle Work-Life-Balance Zeitmanagement

Weitere spannende Artikel

Her-Cules

HER-CULES 002: Sabrina – 1000 kreative Leidenschaften zu einem Business transformieren

13. August 2025 Isabella Raunigk No comments yet

In dieser zweiten Folge spricht Isabella mit Sabrina von Little Love Vibes über ihre inspirierende Reise vom kreativen Hobby zum erfolgreichen Business. Erfahre, wie aus der Suche nach dem perfekten Wandbehang für ihr Wohnzimmer ein ganzes Business entstanden ist und wie sie ihre ganz persönliche Her-cules-Power in der Handmade-Welt entdeckt hat. Sabrina teilt authentische Einblicke in ihren Weg als Multitalent mir vielen Standbeinen, gibt praktische Tipps für den Übergang vom Hobby zum Business und verrät, wie sie trotz gesättigter DIY-Branche ihre Nische gefunden hat. Eine bewegende Geschichte über Mut, Leidenschaft und das Vertrauen in die eigene Kreativität.

Fotos von einem Team im Büro und bei Teamevents
Beziehungen & Netzwerk, Mutmacherin, Selbstentfaltung

“Das ist nicht mal legal”: Eine Geschichte über Potenzial, Vertrauen und die Macht der richtigen Arbeitskultur

22. Juli 2025 Isabella Raunigk No comments yet

2017 saß mir eine unsichere Bewerberin gegenüber, Junior-Level mit wenig Erfahrung. Auf dem Papier durchschnittlich, im Gespräch spürte ich jedoch ein Feuer für den Job. Als sie ihre Gehaltsvorstellung flüsterte, eine Summe unter dem Mindestlohn, war mir klar: Diese Person unterschätzt sich massiv. Ich gab ihr noch am selben Tag die Zusage. Rückblickend war das eine der besten Hiring-Entscheidungen meiner Karriere. Die Geschichte von Mirjana zeigt, warum die besten Talente oft nicht die mit den perfektesten Bewerbungen sind, sondern die mit dem größten Potenzial.

Fempreneur, Life Balance, Selbstentfaltung

Berufliche Sinnkrise mit 30: Wenn der Vorhang fällt – Ein Leitfaden zur beruflichen Neuorientierung

26. Juni 2025 Isabella Raunigk No comments yet

Kennst du das Gefühl, wenn plötzlich alles in Frage steht? Wenn der Job, der mal perfekt schien, sich sinnlos anfühlt und du dich fragst: “Ist das wirklich alles?” Falls du in den 30ern bist und diese Gedanken kennst, bist du nicht allein. 47% der Menschen durchleben eine berufliche Sinnkrise – und das ist völlig normal. In diesem Artikel erfährst du, warum diese Phase ein Geschenk sein kann, wie du die Anzeichen erkennst und konkrete Schritte für deine berufliche Neuorientierung. Inklusive persönlicher Erfahrungen und einem ehrlichen Blick darauf, wie Mutterschaft alles nochmal durcheinanderwirbelt.

md-logo-white

Kontakt

    • Impressum
    • Datenschutzerklärung

 

Social